Sonntag, 21. Juli 2013

Das Fräulein Grete Meier und die Stille



Das Fräulein Grete Meier und die Stille



Vor einiger Zeit war das Lieschen mal für ein paar Tage auf einem Seminar. Da wurde aber nichts gelehrt, so wie man das von Seminaren kennt. Da wurde geschwiegen. Keine Vorträge, keine Lerngruppen, einfach nur Stille. Als das Lieschen dann wieder zurück war, hat ihr das Fräulein Grete Meier natürlich Löcher in den Bauch gefragt. Kein Wort hat man gesagt, gar nichts? Auch nicht beim Essen? Was habt ihr denn da gemacht, habt ihr euch nur angestarrt?

Das Lieschen hat geduldig alles beantwortet. Und hat auch erzählt, wie gut ihr das getan hat. Einfach mal nicht reden, nur lesen, spazieren gehen, meditieren und den eigenen Gedanken nachhängen. Selbst der Herrmann durfte sie nicht anrufen. Handy war ausgeschaltet.

Die Grete war ganz schön irritiert. Schweigen ist ja so überhaupt nicht ihr Ding. Natürlich ist so oft nach der Arbeit allein zuhause. Da redet sie mit niemandem. Aber das Radio läuft. Und dann ist da ja auch immer mal wieder der Herr Heinevetter nebenan auf dem Balkon. Mit dem hält die Grete fast jeden Tag ein Schwätzchen. Auch im Winter. Dann aber nur kurz. Oder sie telefoniert. So ist es auch am Wochenende. Bei schönem Wetter geht sie gerne in den naheliegenden Park. Da sitzt immer jemand den die Grete kennt.

Auch wenn die Grete das mit dem Schweigen nicht so ganz nachvollziehen kann, sagt sie immer: Was dem Lieschen gut tut, ist für das Lieschen richtig.

Irgendwie ging dem Fräulein Grete Meier dieses "freiwillige schweigen müssen" nicht mehr aus dem Kopf. Die letzte Arbeitswoche war recht anstrengend gewesen und so beschloss die Grete am Sonntag zu schweigen. Ganz für sich alleine. Einfach nur ihren Gedanken nachhängen, das wollte sie. So wie das Lieschen.

Das Telefon wurde abgeschaltet, das Radio blieb aus. Die Balkontür ( wegen dem Herrn Heinevetter) zu. Eine Weile schlich sie um den PC herum, schaffte es aber, ihn nicht anzuwerfen. In der Wohnung von der Grete war es still. Das Stille so still sein konnte, verwunderte das Fräulein Grete Meier nun doch. Sie setzte sich in ihren bequemsten Sessel, nahm ein Buch und las … und las … und las. Und blieb still. Bis die Wörter vor ihrer Nase tanzten. Ein kleiner Snack und dann wurde die Nase in die Sonntagszeitung gesteckt. Das wurde ihr Verhängnis. Soviel Neuigkeiten, das musste die Grete erstmal verdauen. Der belgische König dankt ab, Merkel stolpert jetzt wohl doch über die NSU-Affäre und am Bodensee bebt die Erde. Es brodelte im Gehirn von der Grete bis in die letzten Windungen. Geothermie, darüber muss sie sich unbedingt mit dem Lieschen austauschen.

In letzter Sekunde (das Ohr war schon am Hörer!) rief die Grete sich zur Ordnung. Schweigen wollte sie doch, den ganzen Tag. Also wenn das Lieschen das ein paar Tage schafft, dann wirst du es doch mal einen Sonntag schaffen, machte sich die Grete Mut.

Angespannt tigerte das Fräulein Grete Meier durch die Wohnung. Zur Küchentür, zur Schlafzimmertür und wieder zurück ins Wohnzimmer. Zur Zeitung zurück traute sie sich nicht mehr. Nach einer halben Stunde war ein frisch manikürter Fingernagel angeknabbert. Das ging ja gar nicht. Nägelkauen, das macht das Fräulein Grete Meier nie. Niemals. Nie nicht nie.

Entschlossen riss sie die Balkontür auf. "Hamse schon gehört, die Merkel dankt ab, wegen den Geothermie-Bohrungen. In Belgien bebt die Erde und der Bodensee ist über die NSU-Affäre gestolpert." Das Fräulein Grete Meier war sichtlich erleichtert.

Herr Heinevetter gab allerdings keine Antwort. Er starrte sie nur schweigend an. Sprachlos. 



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